Tanz in Südafrika:
Das verbindende Element

Es gibt wohl kein anderes Land auf der Welt, in dem die Unterschiede zwischen armer und reicher Bevölkerung so ausgeprägt sind, wie in Südafrika. Überall sind die Zeugnisse und Folgen von mehr als 50 Jahren Apartheid anzutreffen. Südafrika ist noch weit davon entfernt, Chancengleichheit und eine gerechtere Verteilung des Reichtums nur annähernd umzusetzen. So ist zum Beispiel das Bildungsniveau der armen (schwarzen) Bevölkerung speziell in ländlichen Gebieten schlechter als im benachbarten Simbabwe und schon gar nicht zu vergleichen mit den Möglichkeiten der gut ausgebildeten Oberschicht in den Städten Südafrikas. Die Wohnsituation hat sich nur für gut verdienende Schwarze und Farbige geändert. Alle anderen wohnen weiterhin in Townships, wo die Ghettoisierung die Lebensbedingungen in vielen Bereichen verschärft und der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und höheren Schulen sehr eingeschränkt ist.

Unter anderem versuchen Kulturschaffende einen Beitrag zu leisten, um diesen tiefen Graben zwischen arm und reich, schwarz und weiss zu überwinden. Das offizielle, subventionierte Kulturleben in Südafrika war während der Apartheid vornehmlich europäisch geprägt. Grösstenteils produzierten weisse Künstlerinnen und Künstler für ein weisses Publikum. Neben dieser offiziell propagierten Kultur, bestand schon lange eine (schwarze) Untergrund Kulturszene, die teilweise auch international Beachtung fand (z.B. Musical "Sarafina"). Südafrika hat als einziges afrikanisches Land in diesem ausgeprägten Masse beides, sowohl europäisches als auch afrikanisches Kulturleben und -tradition an ein und demselben Ort. Daraus entsteht teilweise ein hochinteressanter und explosiver Mix, der den Spagat zwischen technisierter Konsumwelt und der Verwurzelung im traditionellem afrikanischen Stammesleben mit unglaublicher Prägnanz zum Ausdruck bringt.

Die Tanzmetropole Südafrikas ist Johannesburg. Hier sind die meisten ChoreografInnen und TänzerInnen, sowie das Dance Umbrella Festival zu hause. Johannesburg gilt als eine der gefährlichsten Städte Afrikas und besteht neben dem Geschäftszentrum aus Dutzenden von Vororten und Townships, deren Spektrum von Soweto (South Western Township), einem Meer von kleinen "Matchbox houses", bis zu Sandton, wo die Reichen und Schönen durch überdimensionale Shoppingmalls flanieren, reicht. Die grosse Kluft zwischen Arm und Reich erzeugt extreme Spannungen, die sich nicht nur in der explodierenden Kriminalitätsrate spiegelt, sondern auch das Kulturleben der Stadt prägt. Eigentliche Talentschmiede für schwarze TänzerInnen und ChoreografInnen ist seit vielen Jahren die Kompanie "Moving into Dance". 1978 als "non-racial" Tanzkompanie und Trainingsorganisation von Sylvia Magogo Glasser gegründet, schuf die Kompanie im laufe der Jahre ihren sogenannten Afro-Fusion Stil. Die Truppe tourt international und ist zur Zeit unter der künstlerischen Leitung des bekanntesten schwarzen Choreografen Südafrikas, Vincent Sekwati Koko Mantsoe.

Eigentlich alle Kompanien und EinzelkünstlerInnen engagieren sich in irgendeiner Form und unbezahlt(!) für die Gemeinschaft. Die grösseren Kompanien (z.B. Moving into Dance (Johannesburg), Jazzart (Kapstadt), Ballet Theatre Afrikan (Johannesburg), Soweto Dance Theatre (Johannesburg)), die zum Teil schon während der Apartheid entstanden sind und oft von weissen Tanzschaffenden gegründet wurden, haben alle ähnliche Konzepte:

  • Die ganzjährig arbeitende professionelle Kompanie bemüht sich um ein gutes Repertoire und macht Aufführungen im In- und Ausland.
  • Ein mehr oder weniger organisiertes Ausbildungs- und Trainingsprogramm sorgt für den Nachwuchs der Kompanie und gibt gleichzeitig einigen armen, unterprivilegierten Jugendlichen die Möglichkeit, einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachzugehen. Oft geht das Engagement für zukünftige Ensemblemitglieder weit über reinen Tanzunterricht hinaus. So etwa sorgt Jazzart (künstlerische Leitung: Alfred Hinkel) in Kapstadt zuerst mit einem kleinen Stipendium und später durch einen regelmässigen Verdienst, aber auch mit Rat und Tat etwa um die Kleidung, die Essgewohnheiten und die Wohnung ausserhalb der Townships für die jungen TänzerInnen. Sie erhalten zudem bei Bedarf (Nachhilfe-)unterricht in den Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen) und Englisch. An der letzten Audition von Jazzart erschienen 200(!) Mädchen und Jungen zwischen 14 und 17 Jahren, die gerne ins Ausbildungsprogramm und dann eventuell in die Kompanie aufgenommen werden möchten. 15 von ihnen kriegen dieses Jahr eine Chance.
  • Zudem unterrichten Kompaniemitglieder regelmässig in Townships. Die jungen TänzerInnen werden dazu angehalten, ihr Wissen und Können schon nach sehr kurzer Zeit weiterzugeben. Damit wird ein enormer Vervielfältigungsprozess der Arbeit von ein und derselben Gruppe erreicht. Der Tanz erreicht so auch ein ganz anderes Publikum.

So arbeitet etwa das Ballet Theatre Afrikan unter der Leitung von Martin Schoenberg (Tänzer am Opernhaus Zürich unter Uwe Scholz). Sein Ausbildungsprogramm setzt den Schwerpunkt auf Balletttraining. Im Repertoire der Kompanie sind moderne und klassische Stücke.

Neben der professionellen Arbeit unterrichten Jackie Semela und sein Soweto Dance Theatre seit 18 Jahren jeden Abend in einem kleinen Studio des YMCA Orlando in Soweto kostenlos Kinder und Jugendliche. Viele der jungen schwarzen TänzerInnen in Johannesburg haben hier ihre Leidenschaft für den Tanz entdeckt. Zu Apartheid Zeiten wurden manchmal Jugendliche direkt aus dem Studio verhaftet, weil Versammlungen von mehr als drei Personen verboten waren. Bei meinem Besuch an einem ruhigen Abend im Mai waren 10 Mädchen gekommen, die sich unter den Augen von zahlreichen Zuschauern während 90 Minuten die Seele aus dem Leib tanzten.

Die jüngere Generation der Tänzer und Choreografen arbeitet ähnlich wie in Europa oft in losen Projektgruppen. So etwa die beiden P.A.R.T.S.-Absolventen Moeketsi Koena und George Khumalo. Ihre Arbeit orientiert sich mehr am zeitgenössischen Tanz, Release Technik und Contact Improvisation, wo sich die etablierten Kompanien zumindest anfänglich tanztechnisch vornehmlich vom amerikanischen Modern Dance im speziellen der Alvin Ailey Company inspirieren liessen. Es besteht ein reger Austausch mit TänzerInnen und ChoreografInnen aus anderen Ländern Afrikas und Europas. Moeketsi Koena arbeitet zum Beispiel an einem neuen Stück zur AIDS-Problematik zusammen mit einem Tänzer aus Madagaskar und einer Tänzerin aus Frankreich. Die Stücke der beiden Choreografen und Tänzer Mandla Bebeza und Sello Pesa werden diesen Sommer in La Rochelle und Amsterdam zu sehen sein. Es wird mit Räumen, Video und Musik experimentiert. Das afrikanische Bewegungsrepertoire wird reduziert und bis ins Detail zerlegt. Partneringarbeit bringt dem erdverbundenen traditionellen Tanz das Fliegen bei. Streetdance- und Hiphop-Elemente tauchen auf. Professionelle werden mit Amateuren zusammengebracht. Was ich an Proben zu sehen bekam, war ohne Ausnahme von hoher künstlerischer und tänzerischer Qualität und immer wunderbar getanzt. Über allem, was kreiert wird, steht ein grosses Engagement für politische und gesellschaftliche Probleme und die Vision einer gleichberechtigten, freien Gesellschaft.

Nicht nur die grossen Kompanien bieten Tanzausbildungen an, auch einige der Hochschulen in Südafrika haben ihre Tanzdepartemente seit Ende der Apartheid auf den neusten Stand gebracht. Wo vorher vornehmlich klassisches Ballett unterrichtet wurde, werden heute meistens verschiedene Studienrichtungen angeboten und es wird auch in Sachen Tanz geforscht. An der University of Cape Town, School of Dance hat man die Wahl zwischen drei verschiedenen Studienrichtungen: Degree course in klassischem Ballett, modernem Tanz und neu seit 1998 in afrikanischem Tanz. Für weiterführende Studien und Forschungsaufträge wird oft eine Kombination von Ethnologie und Kulturanthropologie und Tanz gewählt. Die lange unterdrückte und durch die Modernisierung sich schnell verändernde afrikanische Kultur soll erforscht werden. Im Südafrika von heute ganz selbstverständlich nicht mehr durch die Brille der Kolonisatoren betrachtet, sondern durch junge afrikanische Wissenschaftler. So zum Beispiel Maxwell Xolani Rani, einer der ersten Absolventen des Degree Courses an der University of Cape Town, der neben seiner Tätigkeit als Tänzer und Dozent an der Universität an einem Forschungsauftrag über die traditionellen Tänze Südafrikas arbeitet.

The integration, through dance and teacher training, of people from different cultural backgrounds and abilities. The promotion of dance education and performance opportunities in historically disadvantaged communities. The integration of African dance, music and ritual with Western dance culture. A creative and holistic learning process, which links the mind, body and spirit through movement. Dance as a means of integrating the worlds of Arts and Science and is sensitive to and responds to the needs of the community. (Moving into Dance)

Informationen:

Bettina Holzhausen, Juni 2002

 

Szenenfoto
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