Mosambik: Afrikanische Abenteuer

"The dance in Africa was a revelation to me; I felt with a gratifying certainty that there I had found true dance in its purest and most extensive expression.
Let us encourage Africa in its belief in the dance and in its will to continue with the penetration of life and dance. Let us encourage it and let us warn it against walking into the trap of folklore where tradition becomes "conserves" like sardines in oil instead of continuing to be part of the daily life. So let us not conserve, but continue, love and create. Tradition must not be a slumbering lake, but an impetuous torrent breaking over the modern world to shake it."
Maurice Béjart

Die Aussicht, vier Monate in Mosambik zu leben und zu arbeiten, hat mir vor meiner Abreise einiges Herzklopfen beschert. Natürlich weiss man im voraus nie, wie es wirklich sein wird, sich in einer neuen Umgebung zurecht zu finden und den Einstieg in einen neuen Arbeitsalltag zu schaffen. Afrika und speziell Mosambik, eines der ärmsten Länder der Welt, ist ja für Armut und Elend bekannt, für Krankheiten und Kriege. Wie würde ich mich dort fühlen und mit der Diskrepanz zwischen meinem europäischen Leben und der allgegenwärtigen Armut zurecht kommen? Wie würde, ich weisse Frau, den schwarzen Tänzerinnen und Tänzern akzeptiert werden? Würde ich mir in einer Machogesellschaft den nötigen Respekt verschaffen können, um auch wirklich unterrichten und choreografieren zu können? Nach einer Nacht im Flugzeug über dem dunklen Kontinenten bin ich schliesslich in einer neuen Welt gelandet, die in vielem eben ganz anders war, als ich mir das vorgestellt hatte.

Ich war nach Mosambik gekommen, um mit der Companhia Nacional de Canto e Dança CNCD ein neues Stück zu choreografieren. Die ersten zwei Wochen unterrichtete ich einen Workshop, um die Tänzerinnen, Tänzer und Musiker kennen zu lernen und eine Gruppe für die Kreation meines Stücks zu selektionieren. Die mitgebrachten CDs habe ich eigentlich nie zum Einsatz gebracht, sondern meine Ohren in den nächsten Wochen versucht an afrikanische Perkussion zu gewöhnen. Täglich hatte ich mindestens fünf Musiker, die das Training und alle Proben begleiteten. Ich war beeindruckt von der Intensität und dem körperlichen Einsatz, mit dem sich die Tänzerinnen und Tänzer ans Werk machten. Sie setzten buchstäblich alles, was ich vorgab, in hingebungsvollen Tanz um, der mich manchmal fast aus dem Studio gefegt hat. Ich war erstaunt über ihre Spielfreude, Experimentierlust und Risikobereitschaft, als hätten sie jahrelang auf so eine Gelegenheit gewartet. Unter solchen Umständen ein Stück zu kreieren, war ein reines Vergnügen!

Die Companhia Nacional de Canto e Dança CNCD wurde 1979 einige Jahre nach der Unabhängigkeit Mosambiks von Portugal gegründet. Die Gründung einer Nationalen Tanzkompanie passte gut in die Aufbruchsstimmung des jungen Staates. Damals waren das ca. 30 junge Künstlerinnen und Künstler, die aus verschiedenen Regionen Mosambiks stammten und so ein vielfältiges Wissen und Können der Musik- und Tanzkultur Mosambiks vereinten. Die Truppe war von Anfang an viel unterwegs. Einerseits im eigenen Land, aber auch in vielen Ländern Afrikas, Europas, Nord- und Südamerikas. Vorerst bestand das Repertoire aus traditionellen Tänzen aus allen Teilen des Mosambiks. Ab 1984 wurde das traditionelle Vokabular auch in Handlungsballette verarbeitet, die auf Mythen und traditionellen Erzählungen basierten. Später kamen aktuelle Themen dazu wie zum Beispiel die Befriedung des Landes nach dem Bürgerkrieg ("Ode a paz" 1992) oder AIDS ("Amatodos" 1998). Speziell diese Stücke wurden und werden in grossen Tourneen im ganzen Land gespielt. Die Vorstellungen finden je nach Möglichkeit in einem Theater oder grossen Saal, aber mehrheitlich draussen, tagsüber auf einem grossen Platz statt. In der Bevölkerung von Mosambik ist die CNCD sehr bekannt und beliebt. Wo immer ich im Land war, wurde ich als Ausländerin natürlich oft gefragt, was ich in Mosambik mache. Sobald ich die CNCD erwähnte, konnte ich auf dem Gesicht meiner Gesprächspartner erkennen, dass sie von der Kompanie mindestens schon gehört hatten, oft hatten die Leute die Tanzkompanie am Fernsehen oder sogar live gesehen. In einem grossen und schlecht erschlossenen Land wie Mosambik, wo die meisten Menschen kaum je aus ihrem Dorf herauskommen, ist das doch sehr erstaunlich.

Die CNCD erhält vom Kulturministerium eine feste Subvention, die aber nur einen Teil der festen Kosten deckt. Einen anderen Teil decken Einnahmen aus Tourneen im Ausland und spezielle Projekte, die von verschiedenen NGOs unterstützt werden. Gemäss ihrer Statuten hat die CNCD eine ganze Reihe öffentlicher Verpflichtungen zu erfüllen: Die Erforschung, Pflege und Verbreitung des kulturellen Erbes des mosambikanischen Volkes (speziell Musik und Tanz) unter anderem durch Vorstellungen, aber auch durch Feldforschung, Coaching anderer Tanzgruppen und Förderung des Nachwuchses.

Im Ganzen beschäftigt CNCD etwa 80 Mitarbeiter: ca. 30 TänzerInnen und Tänzer, 10 Musiker, ca. 20 Tänzerinnen, Tänzer und Musiker der Junior Company, Administration, Technik- und Kostümabteilung. Schon viele Jahre arbeitet die CNCD in der Casa da Cultura in Maputo. Seit 1999 hat die Kompanie ihr eigenes Theater, das Cinema Teatro Africa. Es ist das grösste Theater Maputos und bietet gegen 1000 Zuschauern Platz und verfügt verglichen mit Theatern in Osteuropa, Indien und Südamerika über eine erstaunlich gute Infrastruktur.

Die Geschicke der Kompanie liegen seit Anbeginn in den Händen des Direktors David Abilio. Das Choreografenpaar Maria Helena Pinto und Augusto Cuvilas zeichnen für das künstlerische Programm mitverantwortlich und erarbeiten auch die meisten neuen Stücke für die Truppe. Sie haben beide in Paris studiert und orientieren sich stark am zeitgenössischen Tanz aus Frankreich. Durch ihren Einfluss hat sich auch die künstlerische Ausrichtung der Kompanie in den letzten drei Jahren stark verändert: Das bis anhin ausschliesslich traditionelle Repertoire wurde durch eine Reihe zeitgenössischer Stücke erweitert und das Ensemble erhält mehr und mehr Unterricht in moderner Tanztechnik. Diese Strategie beschert der Kompanie einerseits schöne Erfolge, wie etwa den zweiten Preis an der Biennale für zeitgenössischen afrikanischen Tanz in Madagaskar im November 2003 für das Stück "Solo por cinco" von Augusto Cuvilas. Aber andererseits stösst der zeitgenössische Tanz beim einheimischen Publikum auf viel Unverständnis. In der Hauptstadt Maputo lässt sich diese "neue Mode" durch die Medien noch einigermassen kommunizieren. Ich glaube hingegen kaum, dass das in der Provinz möglich sein wird. Eine sensible Mischung zwischen "alt und neu" wäre hier gefragt, die aber bis jetzt noch nicht gefunden wurde. Für Staatsbesuche und Galavorstellungen spielt die Kompanie als nationales Aushängeschild eigentlich immer traditionelle Stücke aus dem Repertoire, die teilweise schon sehr in die Jahre gekommen sind. Die künstlerischen Kursänderungen sind noch voll im Gange und werden die CNCD auch in den nächsten Jahren beschäftigen.

Die Welt des traditionellen Tanzes

Auf Initiative der Swiss Developement Cooperation habe ich nach Beendigung meiner Arbeit in der Hauptstadt eine Studienreise in den Norden Mosambiks unternommen, um die Welt des traditionellen Tanzes kennen zu lernen und mir über die Unterstützung der traditionellen Tanzkultur Gedanken zu machen. In Begleitung eines Mitarbeiters des CNCD bin ich nach Nampula (Hauptstadt der gleichnamigen Provinz) geflogen, um von dort aus mit einem gemieteten 4x4 in verschiedenen Städten und Dörfern der Provinzen Nampula und Cabo Delgado traditionelle Tanzgruppen zu treffen.

Der traditionelle Tanz präsentierte sich mir als äusserst vielfältige und lebendige Kunstform, die sich ununterbrochen weiter entwickelt. In jedem Dorf gibt es mehrere Tanzgruppen, die jeweils einen Tanz pflegen. Sie treffen sich mehrmals pro Woche, teilweise jeden Tag. Die Gruppen sind meistens als Vereine organisiert und verfügen über ein grosses Repertoire, das dauernd erweitert wird. Eine Art kreatives Team ist für neue Lieder und Choreografien verantwortlich. Alle Gruppen verändern und entwickeln ihre Tänze fortlaufend. Manche Tänze und Gruppen sind sehr alt (bis zu mehreren Hundert Jahren), andere wurden eben erst neu erfunden.

Das hatte ich am wenigsten erwartet. Es gibt tatsächlich "zeitgenössische Tänze" weit weg von den Theaterbetrieben und der Kunstszene in den Städten. Einzelpersonen oder kleine Gruppen kreieren einen neuen Tanz, der sich dann über die Jahre in die Tradition eines Dorfes oder einer Region einschreibt. Diese neuen Tänze werden von anderen Gruppen kopiert und so räumlich weitergetragen. Oft gehen die neuen Tänze von Jugendlichen aus, die einem Lebensgefühl oder vielleicht einer Mode entsprechen und sich gesellschaftlichen Normen entgegenstellen. So etwa die Mashawona-Gruppe im Distrikt Muidumbe nahe der Grenze zu Tansania. Mashawona heisst "Dinge, die man sehen kann" auf Makonde, der lokalen Sprache. Die Gruppe junger Männer hat ihren Tanz von einer Gruppe aus einem anderen Distrikt kopiert und diese wiederum haben Mashawona wahrscheinlich von einer Gruppe aus Tansania abgeschaut. Dieser Tanz verströmt auf erfrischende Art und Weise jugendliche Coolness: Alle tragen schmutzige, zerfetzte Kostüme etwa wie Punks, mit Messer in den Händen stehen sie über lange Strecken des Tanzes mehr oder weniger nur herum, um dann plötzlich in eine Reihe von kurzen, scharfen Bewegungen zu explodieren. Im Dorf sagen die Erwachsenen, dass dieser Tanz hässlich und schlecht sei. Ich fand ganz im Gegenteil, dass er ausgesprochen originell und witzig ist und den Jungen eine Möglichkeit gibt, sich auf eine freche und unkonventionelle Art in Szene zu setzen. Sie beziehen sehr viel Selbstvertrauen aus dem Tanzen und werden von Gleichaltrigen im Dorf sehr bewundert.

Andere Tänze wie Damba etwa sind sehr alt. Damba entstand vor mehr als 1000 Jahren in der Arabischen Welt und kam auf dem Seeweg zusammen mit dem Islam nach Mosambik. Wir haben eine Gruppe auf Ilha do Ibo besucht, die uns eine unvergessliche Vorstellung auf der Veranda einer portugiesischen Villa geboten hat. Die Mädchen tanzen meistens kniend, den Oberkörper rhythmisch bewegend und die Knaben singen und trommeln. Die Lieder gleichen in Melodie und Rhythmusstruktur arabischer Musik und haben gleichzeitig eine afrikanische Färbung, was eine berauschend schöne Mischung ergibt.

Viele Tänze stehen mit den Initiationsritualen in Verbindung, die bis heute für Mädchen wie Knaben durchgeführt werden. Diese Tänze sind jeweils geschlechtsspezifisch. Sie begleiten Männer und Frauen durch ihr ganzes Leben. Beispiele hierfür sind Mapiko (Makonde-Männer) oder Parampara (Makua-Frauen).

In ganz Afrika verschwinden im Zuge der Verstädterung, durch Kriege, Umsiedlungen, erhöhte Mobilität und Entwicklung ganz allgemein Traditionen sehr schnell. Zum Beispiel sterben zur Zeit in Mosambik Sprachen im Zeitraum von nur drei Generationen aus. Gleichzeitig ist für die Menschen, speziell wenn sie in grosser Armut leben, ihre Kultur ein sehr wichtiges Identität stiftendes Element aus dem Selbstvertrauen und Kraft geschöpft werden kann. Musik und Tanz spielen im Alltag eine sehr wichtige Rolle. Mitglieder einer Tanzgruppe etwa verbringen einen grossen Teil ihrer Freizeit mit Tanzen. Wie kann man also diese Tanzkultur unterstützen, fördern, ihr Impulse zur Weiterentwicklung geben, damit sie mit den Worten von Béjart nicht zur toten Folklore und wie Sardinen im Öl konserviert wird?

Eine spannende Fragestellung, an der ich zur Zeit zusammen mit der Companhia Nacional de Canto e Dança und der Swiss Development Cooperation in Maputo arbeite.

Bettina Holzhausen: 2. Februar 2004

Informationen und Adressen:

Companhia Nacional de Canto e Dança


Bettina Holzhausen arbeitete von Anfang September bis Ende November 2003 mit der Companhia Nacional de Canto e Dança CNCD in Mosambik. Sie erarbeitete mit zehn Tänzerinnen und Tänzern und fünf Musikern ein neues Stück ("Images of change"), das am 21. November 2003 im Cinema Teatro Africa in Maputo uraufgeführt wurde. Das Projekt wurde von der Swiss Development Cooperation in Mosambik unterstützt. Im Dezember 2003 unternahm sie eine Studienreise in den Norden des Landes, um sich ein Bild der Bedürfnisse und Probleme der unzähligen Tanzgruppen in Dörfern und Städten zu machen und im Auftrag der Swiss Developement Cooperation zusammen mit der CNCD ein Projekt zur Förderung des Tanzes in der Provinz zu entwickeln.

 

Szenenfoto
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